Des Pudels Kern
Analyse eines obskuren Gesetzes
Der nach der Zersetzung der Initiative 100% Tempelhofer Feld rasch
gegründete Verein hat nach 12-monatlicher Verzögerung einen Gesetzentwurf
als Grundlage des Volksbegehrens/Volksentscheids offiziell eingereicht.
Den Gesetzestext zitiere ich nach der Version, die am 12. Januar 2013 unter der Regie des Vereins publiziert wurde.
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In einer BI kann jeder mitmachen, ungeprüft. Warum sollten die Parteien und Lobbies die Volksdemokratie dem Volk überlassen?
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So ein schönes Pferd!
Der ausladende Text in §1 und §3 klingt richtig gut, so ganz nach 100%igem Schutz des Flugfeldes.
Juristisch ist dies alles aber leeres Gerede, denn die Paragraphen treffen keine greifbaren Festlegungen.
Die prosaische Weitschweifigkeit, die an die Senatsbroschüren erinnert, hat offensichtlich System.
Hier am Anfang des Gesetzes zeigt man eins ums andere mal, wie gut man es meint.
Später kommen die entscheidenden Einschränkungen. Man kalkuliert,
daß der Laie bis dahin nicht mehr aufmerksam weiterliest.
Lesen wir.
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Das Kleingedruckte: § 4
Jeder, der auf dem Feld steht, sieht das Ganze und möchte das Ganze erhalten.
Diese 100% sind für jeden evident und unteilbar.
Und jetzt unterteilt dieser Verein das Ganze in genau die Teile, die schon der Senat
so tranchiert hat:
• "äußere Pufferzone"
Alles außerhalb des inneren Rundweges (sog. "Taxiway"), ~20% der Fläche.
Achtung: Im Süden ist dies nicht die neue Scaterspur, sondern
der breite Taxiway innen, ein riesiges, von Kräutern erobertes Areal.
• "Versiegelte Flächen, die zur Identifikation
des historischen Erscheinungsbildes des Flughafens beitragen"
Nicht näher spezifiziert, also höchstens die beiden Landebahnen im Innenring
• "sonstige versiegelte Flächen"
Große Flächen im Außen- wie in Innenbereich(!),
insbesondere historisch ältere Teile des Flughafens. (~15%-20%)
• "innere Kernzone"
Das ist jetzt nur noch die reine Wiesenfläche im Innenring,
fast aller historischen Flughafenrelikte beraubt,
maximal ~65% des Geländes.
Dieser Rest zeigt nicht mehr die Gestalt des historischen Flughafens!
Es ist eine große, aber vergleichsweise banale Wiese. (s.u.)
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Das Ganze, weniger als seine Teile?
Ist das der deutschen Gründlichkeit geschuldet? Müssen Hürden des Baurechts umschifft werden?
Nein, das ist die Vorbereitung zur Zerstörung jener Gesamtheit,
die oben im Gesetz so wortreich und listig als Schutzziel proklamiert wurde.
Konkret erlaubt §7 Abs.1 Pkt.1 bzw. Pkt. 7
"... die bauliche Anlage unbedeckter Sportflächen".
Das klingt harmlos nach zwei kleinen Bolzplätzen in der Ecke.
Aber dieses Gesetz gibt den ganzen Außenbereich ohne faktische Einschränkung
für flächenzerstörende Baumaßnahmen frei.
Warum also sollten die mächtigen Sportvereine und Sportunternehmen diese Flächen
nicht untereinander aufteilen? Segway-Parkur, Tennisplätze, Reitschulen, nichts ist ausgeschlossen worden.
Die Grünen-Lobbies drängeln schon jetzt, gleich noch ordentlich Schulen und Kitas dazu zu bauen.
Planer wollen planen, so ist das.
Und die Bürger? Außen beginnt der Kommerz, zunächst über Sportvereine.
Die dort vertriebenen Nutzer drängen dann in den Innenbereich. Wie sollte dieser dann noch geschützt werden?
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Der Bulldozer-Paragraph
Zusätzlich sollen zu den zerstörten Außenflächen ersatzweise
im Innenbereich neue Wiesenflächen geschaffen werden. Das klingt edel, aber es bedeutet eine
doppelte Zerstörung:
Kennen Sie die alten, brüchigen Asphaltflächen innerhalb des Taxiways,
auf denen sich natürliche Kräutergärten angesiedelt haben?
Alles minderwertig, nunmehr! (§4 Abs. 1.4)
Wenn außen ein paar Tennisplätze gebaut werden, dienen genau diese
inneren Flächen als Ausgleich. (§4 Abs. 2) Erst kommen die Bagger und Lastwagen-Kolonnen,
die Asphalt und Kräuter wegschaffen, dann wird planiert und attraktiver Neurasen
angesät. Wohlbemerkt, im Innenbereich. Ist das Landschafts- und Naturschutz?
Ist das Gestalterhaltung?
Und es kommt noch schlimmer.
Die Offenheit der Fläche (§2 Abs. 1 2.2) wird als
Gegenstand des Schutzes genannt, aber in §7 Abs. 4 S.3 wird eine Gehölzpflanzung
auf dem Außenring ausdrücklich genehmigt. (Agenten und Dealer brauchen Gebüsch!)
Von dem Ziel des Landschaftsschutzes redet der Verein überhaupt nicht mehr.
Das war den Investoren wohl doch zu hinderlich.
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Die nebenstehende Karte veranschaulicht die Flächenverhältnisse.
Mehr als 35% der Fläche werden freiwillig für massive Eingriffe und zur irreparablen Veränderung freigegeben.
Der Senat bekommt mehr Fläche, als er wollte, von einer 'Bürgerinitiative' geschenkt!
Solche Demokraten verdienen wahrlich den Putin-Preis!
Cui Bono?
Was ist also die strategische Zielsetzung dieses obskuren Vereins?
Der Senat und die Lobbystrategen haben erkannt, welch Fehler es war, den Flughafen zu öffnen. Jetzt hat
die Berliner Bevölkerung ihn liebgewonnen und als Wert erkannt.
Eine Verbauung des Flugfeldes ist nur durchsetzbar,
indem man seine Gestalt langsam und in kleinen Schritten zerstört.
Dies ist die verdeckte Zielrichtung des Gesetzentwurfes: Bio-Salamisierung!
Wenn die Gestalt erst einmal erkennbar verloren ist, wird es kaum noch Widerstand
gegen die angestrebte Privatisierung und Bebauung der Flächen geben.
Ein genialer Plan:
• Bekommt das 65%-Gesetz eine Mehrheit, kann die Gestaltzerstörung langsam beginnen, und
die Privatisierungspläne bleiben mit kleiner Verzögerung im Masterplan.
• Würde der Trick erkannt, kann nach Gesetzeslage kein ehrliches
100%-Gesetz mehr rechtzeitig eingereicht werden.
Direkte Demokratie als Lobby-Instrument ist keine Neuentdeckung. Für eine Milliarden-Immobilie
leisten sich die Lobbies und ihre Parteien gerne eine langfristige Strategie und spendieren
jedem Willigen ein Linsengericht. Bio! Nachschlag?
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Dieses
Wechselbild zeigt die Strategie (Quelle:OSM, SenStadt)
Maus darüber=Senats-Planung, Maus weg = 65%-Gesetz
Lila: Erstzerstörungsflächen; - braun: direkte Bauflächen
Bitte beachten Sie: Der sog. 'Taxiway' ist die breite Innenbahn,
nicht etwa der schmale äußere Asphaltweg.
Damit sind alle vom Senat geplanten Bebauungsareale
zur Erst-Zerstörung freigegeben.
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Geheimdienstleistungsgesellschaft
Es scheint, als müssten wir nicht nur auf unser geliebtes Flugfeld
achtgeben, sondern auch auf die zentralen Säulen unsere Demokratie.
Wenn Privatisierung, Geheimverträge und Vorteilsgewährung zur Norm der Landespolitik werden und
Volksentscheide und deren Träger zum Lobby-Instrumentarium verkommen,
haben wir ein existentielles Problem, das mit dem Abgeben von Stimmzetteln
nicht mehr lösbar ist.
Gegen die klebrigen Gespinste der Korruption hilft nur radikale Transparenz.
Wer sich dieser Forderung entgegenstellt, wird dafür gute Gründe haben,
vermutlich auf dem Konto.
Aber er ist ein Gegner unserer offenen Gesellschaft.
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Transparenz ist die beste Entschuldungsstrategie.
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Liebe ehrlichen, betrogenen Bürger, verwindet die Scham und lest dies als
Lehrstück. Es lehrt uns den Unterschied zwischen Wahlkreuz-Demokratie und offener Gesellschaft!
Januar 2013
Nachtrag (Mai 2014):
Eine deutliche Mehrheit hat für 100% gestimmt, aber leider ein 65%-Gesetz beschlossen.
Doch wie immer: Aktive Aufmerksamkeit wirkt antibiotisch gegen Korruption.
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